Netzwerk Flusslebensraum – Sedimentdynamik und Vernetzung von Land und Wasser

Seit 1850 sind 90% der Auengebiete verschwunden. Mit den entstandenen Verbauungen wurde vielfach auch der Kiestransport und die Fischwanderung stark beeinträchtigt. Das Forschungsprojekt «Lebensraum Gewässer – Sedimentdynamik und Vernetzung» von vier Forschungsinstituten des ETH-Bereichs bringt in 13 Teilprojekten Wissenschaftler aus den Gebieten Wasserbau und Ökologie zusammen. Das Ziel war zu erforschen, wie sich Sedimenttransport und Vernetzung auf die Hochwassersicherheit und die Fliessgewässerökologie auswirken. Die Resultate wurden kürzlich in verschiedener Form publiziert und aufgearbeitet, um praxisrelevante Aspekte des Projekts anschaulich zusammenzufassen. Ein Band der Reihe «Umwelt-Wissen» des Bundesamtes für Umwelt BAFU wird ergänzt mit einem Informationsflyer,  eine interaktiven Karte und fünf Kurzfilmen, die die dynamischen Prozesse in Fliessgewässern veranschaulichen.

 

Netzwerk Flusslebensraum – von ganz nass bis ganz trocken

Flusslandschaften bilden ein komplexes Netzwerk unterschiedlicher Lebensräume. Dieses Mosaik von nassen und trockenen Standorten wie Kiesbänken, Auenwälder und Tümpel beherbergt eine grosse Artenvielfalt. Die natürliche Dynamik von Überschwemmungen und trockeneren Phasen in ökologisch intakten Auenlandschaften schafft die Voraussetzung für vielfältige Lebensräume, und bietet somit Platz für viele Tier und Pflanzenarten. Naturnahe Fliessgewässer gehören zu den artenreichsten Lebensräumen der Schweiz. Heute sind diese Lebensräume allerdings stark unter Druck: Einerseits sind viele Gewässer nicht mehr naturnah und eingeengt durch Verbauungen. Andererseits verändert der Klimawandel Wassertemperatur und Abflussverhältnisse, ausgeprägte Hochwasser folgen auf Perioden der Trockenheit und Niedrigwasser. Diese vielschichtigen Herausforderungen erfordern die Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen, um Hochwasserschutz und Revitalisierungsmassnahmen optimal aufeinander abzustimmen.

 

Substratstruktur und Lebensraumqualität von Bachforellen

Für die Lebensraumqualität in einem Fliessgewässer spielt das Substrat, also der Untergrund eines Gewässers bestehend aus Steinen, Kies und Sand eine besonders entscheidende Rolle. Geeignetes Substrat bietet Schutz-, Laich- und Aufwuchshabitate und sorgt für ein reichhaltiges Nahrungsangebot. Das Substrat vieler Fliessgewässer wird heute allerdings durch menschliche Einflüsse wie den Bau von Wasserkraftanlagen stark beeinträchtigt. Eines der Teilprojekte sollte dabei helfen, Strategien zu entwickeln, um die Auswirkungen von Substratbeeinträchtigungen auf ökologisch und ökonomisch wichtige Fischarten in Schweizer Fliessgewässern zu verringern. Die Resultate zeigen, dass Bachforellen unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Geschlechts unterschiedliches Substrat bevorzugen. Dementsprechend sollten in einem Fliessgewässer möglichst unterschiedliche Substrattypen vorhanden sein und mit in Revitaliserungsmassnahmen eine möglichst hohe Substratheterogenität gefördert werden. In den vergangenen Jahren wurden schweizweit über 500 Wasserkraftwerke und Gewässerverbauungen identifiziert, die zur Verbesserung des Geschiebetransports bis 2030 saniert werden müssen, um damit die Substratstruktur und -dynamik in zahlreichen Schweizer Fliessgewässern zu verbessern.

 

Uberfluteter Auenwald (Bild: Michel Roggo).
Uberfluteter Auenwald (Bild: Michel Roggo).

 

Vernetzung von Wasser und Landlebensräumen

Ein weiteres Teilprojekt um Eawag-Doktorandin Carmen Kowarik erforschte die Auswirkungen menschlicher Einflüsse auf das Nahrungsnetz zwischen Wasser und Land. Insekten, deren Larven im Wasser leben, bilden eine Nahrungsgrundlage für viele Fischarten, aber auch für Eidechsen, Vögel oder Fledermäuse und andere an Land lebende Tierarten. Im Wasser lebende Insektenlarven sind besonders nahrhaft und enthalten wertvolle ungesättigte Fettsäuren. In beeinträchtigen Gewässern leben und schlüpfen kaum noch Steinfliegen. Die Arbeit von Carmen Kowarik zeigte, dass Spinnen, die an beeinträchtigen Gewässern in Ufernähe leben, aufgrund der Abwesenheit der Steinfliegen deutlich weniger ungesättigte Fettsäuren aufweisen. Dies verdeutlicht die komplexen Zusammenhänge im Nahrungsnetzwerk rund um den Flusslebensraum. Revitalisierungsprogramme sollten deshalb einen ökologisch ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Dies erfordert neben Massnahmen am Gewässer selbst auch die Förderung einer natürlichen Ufervegetation.

 

Link zur BAFU-Publikation