«Versteckte Arten» und warum diese wichtig sind

Warum spalten sich Fischgattungen in unterschiedliche Arten auf? Die Gründe können vielfältig sein. Häufig sind Mechanismen wie geographische Isolation über die Distanz, Spezialisierung durch Anpassung an die Umwelt und die Erschliessung neuer Lebensräume und (Fress-)Nischen dafür verantwortlich.

Nord- und Südarten
Durch diese Besiedelung nach der Eiszeit ergaben sich durch die Alpen als Barriere spannende Unterschiede in der Fischartengemeinschaft zwischen Süd und Nord. Die Arten sind seit langer Zeit getrennt, sehen anders aus und interagieren anders. Die Einzigartigkeiten, aber auch die Verschleppungen von Fischen zwischen Nord und Süd waren teilweise auch schon vor dem Projet Lac bekannt. Nun hat man erstmals einen guten Überblick über den Stand.

Rotfeder & Schwarzfeder
Ursprünglich kommt in Seen nördlich der Alpen die Rotfeder (Scardinius erythrophthalmus) und südlich der Alpen die Schwarzfeder (Scardinius hesperidicus) vor. Die Rot- und Schwarzfedern sind ein gutes Beispiel dafür, wie Besatz die natürliche Vielfalt beeinträchtigen kann. Die Schwarzfedern wurden von der Südseite der Alpen nach Norden verschleppt und wurden im Projet Lac in 12 nördlichen Seen nachgewiesen. Genetisch wurden auch Hybriden festgestellt.

Barben
Während im Norden nur die gemeine Barbe (Barbus barbus) vorkommt, finden sich im Süden zwei Arten (Südbarbe Barbus plebejus und Hundsbarbe Barbus caninus), welche sich in ihrer Grösse, ihrem Aussehen und ihren Habitaten unterscheiden. Die südlichen Barbenarten kommen dabei grundsätzlich in den selben Regionen vor. Während die grössere Südbarbe die langsamer-fliessenden Habitate und auch Seen bewohnt, bevorzugt die kleinere Hundsbarbe schnellfliessende Habitate und lebt um oder in steinigen Gebieten.

 
Links die Südbarbe, welche langsamere Strömung und Seen bevorzugt, rechts die kleinere Hundsbarbe welche südlich der Alpen in denselben Regionen vorkommt, aber Habitate mit starker Strömung bewohnt. Bilder: Michel Roggo

Verborgene Vielfalt
Arten welche sich gar nicht, oder nur sehr schwer optisch unterscheiden lassen, werden als kryptische oder versteckte Arten bezeichnet. Gerade die verbreitete Untersuchung der Genetik von Fischen konnte einige unbekannte Muster in den Fischartgemeinschaften zu Tage bringen. Die Einteilungen in Arten beruhen aber nicht (nur) auf genetischen Unterschieden oder der Kreuzungsunfähigkeit als Kriterium. Wichtig ist auch die Nische einer Art. Also die Anpassungen an die Umwelt, die Ernährungsgewohnheiten und eventuell damit verbundene körperliche Unterschiede die zur Artbildung führen können. Im Folgenden einige Beispiele aus der schweizer Fischvielfalt.

Felchen (Coregonus sp.)
Die Felchen sind Spezialisten in der Anpassung an ihre Umwelt. Sie unterscheiden sich nicht nur zwischen Seen, sondern oft auch innerhalb eines Sees stark. Durch die starke Spezialisierung können verschiedene Nischen im See genutzt werden. Die verschiedenen Arten unterscheiden sich in ihrer Nahrung, in ihrem Lebensraum und in der Körpergrösse. Doch welchen Vorteil gibt es für einen Fisch um klein zu bleiben oder sich auf eine Nahrungsquelle zu beschränken? – Die Spezialisierungen der Felchen geben ihnen in ihrem Lebensraum einen Vorteil durch die effiziente Nutzung der Ressourcen. Im Gegensatz dazu hängen sie natürlich von der Bewohnbarkeit ihres Lebensraums und der Verfügbarkeit der Ressourcen ab. Ein kleinwüchsiger Fisch wird meist bei kleinerer Körpergrösse geschlechtsreif und kann also früher in die Fortpflanzung investieren. Das Risiko zu sterben bis zur ersten Laichzeit ist also kleiner. Dafür hat ein grosser Fisch eine grössere Fruchtbarkeit und kann mehr Nachkommen in einem Laichvorgang zeugen. Felchen müssen also ihr Risikoprofil gut abstimmen.

Trota fario & Marmorata
Die Trota Fario (Salmo cenerinus) ist die ursprüngliche Art im Po-Einzugsgebiet, zu welchem unter anderem in der Schweiz das Tessin sowie Teile des Graubündens und des Wallis gehören. Die Marmorata-Forelle (Salmo marmoratus) kommt im selben Einzugsgebiet vor, hat aber eine andere Lebensstrategie. Während die Trota fario das südliche Pendant zur atlantischen Forelle ist, welche unter anderem im Rheineinzugsgebiet vorkommt, wird die Marmorata erst viel später geschlechtsreif, erreicht dafür aber grössere Längen, kann grössere Beutetiere nutzen und hat schlussendlich ein deutlich höheres Körpergewicht. Der Nachteil dieser Strategie ist entsprechend das längere Wachstum bis zur Geschlechtsreife und der höhere Nahrungbedarf.

Elritzen (Phoxinus sp.)
Eine spannende Erkenntnis des Projet Lac war, dass die gemeine Elritzenart Phoxinus phoxinus in der Schweiz nicht nachgewiesen wurde. Man ging bislang davon aus, dass diese Art in der ganzen Schweiz verbreitet ist. Gefunden wurden hingegen in den Seen die Donau-Elritze Phoxinus csikii (in den meisten nördlichen Seen), die mediterrane Elritze Phoxinus septimaniae (westliche Region der Schweiz, z.B. im Genfersee, Doubs, Aare) und die südliche Elritze Phoxinus lumaireul (Genfersee, Tessin, Gardasee). Die Elritzenarten unterscheiden sich vermutlich auch in ihrem Körperbau und der Färbung. Über ihre Ökologie ist allerdings noch nicht viel bekannt. Man geht aktuell davon aus, dass die erwartete Elritzenart Phoxinus phoxinus in der Schweiz gar nie vorkam und es sich ursprünglich um eine Fehlbestimmung gehalten hat.

Groppen (Cottus gobio)
Bei den Groppen sind ebenfalls genetische Linien bekannt, welche wahrscheinlich verschiedene Besiedelungswellen wiederspiegeln. Besonders und wenig bekannt ist, dass Groppen auch in der Tiefe leben können. So wurden Groppen beim Projet Lac im Thunersee noch auf einer Tiefe von 209 m und im Walensee auf einer Tiefe von 145m festgestellt. Im Walensee wurden signifikante genetische Differenzen zwischen flach- und tieflebenden Groppen gefunden, im Thunersee gibt es ebenfalls genetische Hinweise darauf, aber die Stichprobengrösse ist aktuell noch sehr klein.

Links eine flachlebende Groppe, welche in den Seen des Aare-Abflusssystems vorkommt, rechts eine tieflebende-Groppe, welche für den Thunersee endemisch ist, also nur lokal vorkommt. Bild: Eawag, Ole Seehausen

Was bedeutet das für die Fischerei?
Die einzigartige Artenvielfalt in den schweizer Seen muss im Fischereimanagement sowohl bei der Fischerei, als auch bei der Bewirtschaftung berücksichtigt werden. Das Vorhandensein von Nord- und Südarten war dabei seit einiger Zeit bekannt. Unbekannt war primär das Ausmass der Verschleppung zwischen Nord- und Südseite der Alpen. Diese Erkenntnisse zusammen mit der Existenz der kryptischen Arten sind mitverantwortlich dafür, dass heute nur noch innerhalb von Einzugsgebieten bewirtschaftet wird. Dort wo ursprüngliche lokale Arten verloren gingen können diese möglicherweise in der Zukunft wieder angesiedelt werden, wenn diese im umliegenden Ausland noch vorkommen.

Der Umgang mit kryptischen Arten - gerade wenn mehrere im selben See vorkommen - ist in der Angelfischerei nicht einfach, da diese nicht ohne Weiteres unterschieden werden können. Die Theorie schlägt vor, dass sich diese Arten in ihrer Ökologie unterscheiden, also zum Beispiel in ihren Habitaten und ihrer Ernährung. In vielen Fällen wurde dies in der Praxis bislang nicht untersucht. Dies ist eine Herausforderung für die Zukunft und Beobachtungen von Anglern könnten möglicherweise dabei helfen Unterschiede festzustellen. Wird eine Form in einem bestimmten Habitat gefangen oder ernährt sich diese von bestimmten Futterquellen?

Weitere Infos

Projet Lac

Unerwartete Artenvielfalt in Seen des Alpenraums

Genetik und Fischerei

 

 

Fischabstieg – Wenn Forellen stromabwärts schwimmen

Wenn keine Hindernisse in den Fliessgewässern vorhanden sind, dann können Forellen kürzere oder längere Wanderungen machen. Ein eindrückliches Beispiel ist sicherlich die Seeforellen-Laichwanderung stromaufwärts. Doch bevor eine Forelle stromaufwärts schwimmen kann, muss sie sich normalerweise zu Beginn ihres Lebens erst einmal stromabwärts bewegen. Wann passiert das? Wie viele der Jungforellen wandern ab? Kommt das auch bei Bachforellen vor?

 

Jugendliche Seeforellen

Sobald im Frühling die kleinen Forellen schlüpfen beginnen sie zu wachsen. In den Bächen sind sie normalerweise gut aufgehoben. Ein Teil der Jungforellen bleibt langfristig im kleinen Fliessgewässer. Ein anderer Teil macht sich irgendwann auf in grössere Gewässer, sei es ein Fluss oder ein See. Gerade bei Seeforellen ist die Wanderung sehr gut untersucht.

Die jungen Forellen der Vierwaldstätterseezuflüsse wurden mit kleinen Markern ausgestattet und die Abwanderung konnte danach beim Seeeinfluss mithilfe von zwei Antennen rund um die Uhr überwacht werden. (Quelle: Dermond & Brodersen, 2018)

Generell wandern die meisten jugendlichen Seeforellen in ihrem zweiten Lebensjahr, im Schnitt etwa mit 15cm Länge, von ihrem Geburtsort in den See ab. Grössere Jungforellen steigen dabei früher ab als kleinere Artgenossen. Vermutlich ist für die kleinen Individuen die Gefahr im See gefressen zu werden zu gross. Die Auswanderungszahlen unterscheiden sich je nach Fliessgewässer und können unter 10%, aber auch bei über 50% der Jungforellen liegen. Entscheidend dafür sind zum einen genetische Komponenten, aber unter anderem auch die Umweltbedingungen im Fliessgewässer.

 
Eine Forelle welche im zweiten Lebensjahr markiert wurde (Bild links) und bald darauf in den See abstieg. Rund 2.5 Jahre später wurde dieselbe Forelle beim Aufstieg aus dem See wiedergefangen. Dies ist auch gut am Punktmuster auf und hinter dem Kopf zu erkennen. Für diese Forelle hat sich die risikoreiche Strategie ausgezahlt. Der Grössen- und Gewichtszuwachs ist deutlich sichtbar. (Bilder: Eawag)

Bachforellen aus kleinen Fliessgewässern

Bei Bachforellen ist weniger bekannt über die Abwanderung in grössere Fliessgewässer. Resultate aus Belgien zeigten allerdings bereits 1979, dass aus einem kleinen Fliessgewässer jedes Jahr natürlicherweise rund 470 Bachforellen abstiegen.

Bei Untersuchungen im Kanton Aargau wurde angeschaut, wie und ob Besatzfische in einem Aufzuchtgewässer abwandern.


Mit dem Netzkorb wurden abwandernde Fische im Schalchmatthaubächli erfasst. (Quelle: Kreienbühl & Vonlanthen, 2017)

Dabei wurde festgestellt, dass innerhalb von zwei Jahren über 300 Bachforellen abwanderten. Bei Hochwassern konnten die Erhebungen mit einem Fangkorb zudem nicht gemacht werden. Es ist also anzunehmen, dass die effektive Anzahl der Absteiger noch höher liegt. Der überwiegende Teil (>85%) wanderten im zweiten Lebensjahr mit einer Grösse von 8-20 cm ab.

Histogramme der Längenverteilung (in mm) der gefangenen Forellen im Netzkorb des Schalchmatthaubächli aus den beiden Jahren 2015 und 2016. In rot ist die ungefähre Abgrenzung der Jahrgänge 0+ und 1+ eingezeichnet. 91.9% der Fische wurden zwischen April und Juni gefangen. (Quelle: Kreienbühl & Vonlanthen, 2017)

Die gängige Praxis, bei der Besatzforellen in Aufzuchtbächen bereits als Sömmerlinge wieder elektrisch abgefischt werden, ist also nicht passend zum natürlichen Verhaltensmuster. Ein grosser Teil der abwandernden Fische in der Studie stammte aus Besatz. Im schlussendlichen Fang machen die Besatzfische allerdings nur 10% aus. Da die Wanderung und auch die Naturverlaichung im kleinen Zufluss funktioniert wurde empfohlen den Besatz einzustellen und eine natürliche Bachforellenpopulation im kleinen Zufluss zu ermöglichen.

Eine ähnliche Untersuchung wurde ebenfalls im Kanton Basellandschaft durchgeführt. Die Resultate waren sind durchaus vergleichbar. In beiden Versuchsjahren wurden im untersuchten Bach über 1000 absteigende Brütlingseinheiten festgestellt (1164 & 1679) was jeweils deutlich mehr war als besetzt wurde (750 Brütlinge pro Jahr).

MonatArtBrütlings-
Einheit
AprilBachforelle61
MaiBachforelle333
JuniBachforelle257
JuliBachforelle189
AugustBachforelle127
SeptemberBachforelle197
1'164

Die Abwanderung aus dem Fluebach im 2012 dargestellt von April bis September. Während 20 Tagen war der Netzkorb wegen Geschiebetrieb, Hochwasser und Ferien nicht in Betrieb.

Kleine Fliessgewässer können also durchaus eine wichtige Rolle spielen, zum einen für die natürliche Fortpflanzung, zum andern auch als Jungfischhabitat. Ein guter ökologischer Zustand und eine gewährleistete Fischgängigkeit ist wichtig für die Funktion der kleinen Fliessgewässer. Wo nötig müssen diese Bedingungen wiederhergestellt werden

Links

Eawag Seeforellenprojekt

Bericht «Seeforellenwanderung im Vierwaldstättersee und seinen Zuflüsssen»
Link zum PDF

FIBER Broschüre kleine Fliessgewässer

Fischgängigkeit ...