Schmutzwasser und unser Beitrag: Von Haus und Strasse bis in die Gewässer

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum in der Bevölkerung, dass alle Ablaufschächte in eine Abwasserreinigungsanlage (ARA) münden. Entsprechend sorglos wird mancherorts Schmutzwasser direkt in den nächstbesten Schacht hineingekippt. Auch Regenwasser, das in den Schächten gesammelt wird, ist nicht frei von Verschmutzungen. Im Folgenden ein kleiner Überblick über das Schweizer Abwassersystem, Verschmutzungen im Strassenabwasser, deren Einfluss auf die Gewässer sowie die notwendigen Massnahmen.

Rund 97% der Schweizer Haushalte sind an eine Abwasserreinigungsanlage (ARA) angeschlossen. Die restlichen Haushalte verfügen über eine andere Lösung zum Auffangen und Aufbereiten des Schmutzwassers. Das öffentliche Kanalsystem hat in der Schweiz eine Länge von rund 60'000 km. Dies entspricht eineinhalbmal dem Umfang der Erde. Nebst dem Abwasser aus Haushalten und Industrie, muss damit auch das Regenwasser von den versiegelten Oberflächen, zum Beispiel von Strassen und Plätzen, abgeleitet werden. Heute sind rund 5% der Landesfläche versiegelt, deren Anteil vergrössert sich aber stetig. Die versiegelten Flächen haben innert 33 Jahren in der Schweiz um 40% zugenommen.

 

Wie erkenne ich Abläufe die in Gewässer oder ins Grundwasser führen?

Schächte können das Wasser sowohl in ein Mischsystem oder ein Trennsystem ableiten. Beim Mischsystem fliesst das Wasser zusammen mit den Hausabwässern in eine ARA. Beim Trennsystem fliesst das Wasser nicht in eine ARA, sondern es versickert direkt und landet damit im Grundwasser oder in nahegelegenen Gewässern. Von den Schächten, die in Wasserleitungen mit Trennsystem führen, gibt es in der Schweiz mehr, als man vielleicht im ersten Moment denken könnte. Im Kanton Freiburg zum Beispiel sind ~⅔ der Flächen in Bauzonen an ein Trennsystem angeschlossen und nur ~⅓ an ein Mischsystem. Die Wahrscheinlichkeit, dass Schmutzwasser, das über einen Strassenschacht oder eine Rinne entsorgt wird, im nahegelegenen Fliessgewässer endet, ist sehr hoch. Die Entsorgung von Abfällen und Flüssigkeiten sollte also nie über einen Schacht, Ablaufgitter oder Dergleichen erfolgen.

Dieser Sachverhalt ist natürlich nicht nur im Kanton Freiburg so. In allen Kantonen stellen sich dieselben Herausforderungen. Nebst der Einführung von Reinigungsanlagen bei Leitungen mit Trennsystem ist die Kennzeichnung von ungereinigten Abflüssen entscheidend. Zur Kennzeichnung bietet sich zum einen der VonRoll Strassenrost (Figur 2948) «FISHROLL» an, welcher in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Schweizerischen Fischereiaufseher (SVFA) entworfen wurde (Titelbild dieses Artikels). Er dient zur Kennzeichnung von Abläufen, welche in Gewässer oder ins Grundwasser fliessen. Zum anderen bietet die Vereinigung der Schweizerischen Abwasserfachleute (VSA) Plaketten an, um entsprechende Abflussdeckel im Nachhinein zu kennzeichnen. Auf privaten Flächen, beispielsweise Firmengeländen, kann auch mit farbcodierten Schachtdeckeln gearbeitet werden. Die Farbe signalisiert dabei die Ableitung des Schachts.

 


Quelle: VSA

 

Strassenabwässer beinhalten mehr als nur Regenwasser

Durch Brems-, Strassen- und Reifenabrieb, sowie durch Treibstoffrückstande oder Schmiermittel hat es in Strassenabwässern sehr viele Schadstoffe. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Belastung des Abwassers von Gleisanlagen in der Regel deutlich geringer ist als jene von Haupt- und Nationalstrassen. Seit 2002 wird daran gearbeitet, stark befahrene Strassen umweltverträglich zu entwässern, indem zum Beispiel Strassenabwasserbehandlungsanlagen (SABAs) zur Reinigung durch Versickerung des Abwassers eingebaut werden. Somit ist in den nächsten Jahren mit einer stetigen Reduktion der Schadstoffeinträge von Strassen in Oberflächengewässer zu rechnen. Vielfach wird die Strassenentwässerung jedoch erst verbessert, wenn ein Strassenabschnitt aus anderen Gründen saniert werden muss.


Vielerorts gelangen Strassenabwässer nach wie vor ungefiltert in die Gewässer. (Bild: M.Roggo)

 

Wie viel Reifenabrieb gibt es denn und wo landet dieser?

Ein Autoreifen verliert im Lauf seines Lebens rund 4 Kilogramm an Gewicht. In der Schweiz entstehen so pro Jahr schätzungsweise 10'000 Tonnen Reifenabrieb. Rund 4000 Tonnen davon dürften laut einer Schweizer Studie im Verlauf in den Gewässern enden; ein weiterer Teil in den Uferzonen. Die Schwierigkeit ist, dass ein Reifen aus rund 400 verschiedenen Substanzen besteht. Bei vielen Inhaltsstoffen ist das Umweltrisiko noch nicht bekannt.

Der Eintrag von Reifenabrieb in die Umwelt verhält sich proportional zum Verkehrsaufkommen. Insbesondere vielbefahrene Strassen sind stark betroffen. Wie stark sind die Fliessgewässer belastet? Aufgrund des grossen Durchflusses sind die grossen Fliessgewässer wie die Aare oder der Rhein mehrheitlich gering belastet, da aufgrund der grossen Wassermenge die Schadstoffe stark verdünnt werden. Anders sieht dies bei kleineren Gewässern entlang vielbefahrener Strassen aus. Vor allem die dicht besiedelte Mittellandebene ist dadurch stark betroffen.

 

Fliessgewässerbelastung mit Reifenabrieb: Entlang von Hochleistungsstrassen fallen pro Tag bis zu maximal 59kg Reifenabrieb pro Quadratkilometer Fläche an. Grüne, gelbe und rote Punkte zeigen besonders belastete Regionen. Quelle: Steiner, 2023

 

Der Einfluss von Reifenabrieb

Was wissen wir über das Risiko von Reifenabrieb? In Untersuchungen der Eawag mit Reifenabrieb konnte gezeigt werden, dass der Reifenabrieb über die Insekten und Krebstiere in die aquatische Nahrungskette aufgenommen wird und dadurch schlussendlich auch in den Fischen landet. Bei Silberlachsen in Nordamerika wurde eine hohe Sterblichkeit nach Regenereignissen aufgrund von Reifenabrieb nachgewiesen. Die enthaltene Substanz 6PPD-Chinon ist nachweislich für diese Vergiftungen verantwortlich. Der Stoff ist ein gängiges Reifen-Antioxidationsmittel und ist daher auch in Autoreifen in der Schweiz enthalten. Tests der EPFL und der Eawag mit Zellkulturen von Regenbogenforellen konnte bei tieferen Konzentrationen keine akute Giftigkeit von Reifenabrieb auf Regenbogenforellen feststellen.  Es gibt mehrere Resultate die zeigen, dass unterschiedliche Fischarten und verschiedene Altersklassen unterschiedlich reagieren. Eine Schädigung des Nervensystems, oder eine Ansammlung der Giftstoffe über längere Zeit im Körper können nicht ausgeschlossen werden. Bei höheren Konzentration sind die schädlichen Auswirkungen von Zink und 6PPD-Chinon gut dokumentiert. Die Mengen sind also mitentscheidend.

 

Was kann ich im Alltag beitragen?

Jede(r) kann dabei helfen, keine Gefahrenstoffe in den Strassenabläufen zu entsorgen. Grundsätzlich gilt: feste Stoffe gehören in die Mülleimer oder sollten an den Recyclingstellen abgegeben werden. Bei flüssigen Stoffen gehören nur unproblematische Haushaltsmittel ohne entsprechende Gefahrenettiketten in den Abfluss – alles andere kann bei Entsorgungsstellen der Gemeinde oder in Fachgeschäften abgegeben werden.

Gewisse oft gebrauchte Schadstoffe sind besonders hochgiftig für die Wasserfauna und Flora. So zum Beispiel:

  • Javelwasser als Bleich- und Reinigungsmittel;
  • Reinigungsmittel für die Reinigung von Autos, Velos usw.;
  • Pflanzenschutzmittel;
  • Farbe und das für die Reinigung der Pinsel benutzte Wasser;
  • Zement für kleine oder grosse Arbeiten.

 

Natürlich ist die obige Aufzählung nicht abschliessend. Es sollten immer die jeweiligen Entsorgungshinweise auf den Produkten und der Entsorgungsplan der Gemeinde beachtet werden.

Bezüglich Reifenabrieb steht die Vermeidung des Abriebs an vorderster Stelle. Hier zu beachten, wenn nicht auf das Fahrzeug verzichtet werden kann:

  • Kilometerleistung nach Möglichkeit reduzieren und Fahrgemeinschaften bilden
  • Leichte Fahrzeuge mit schmalen Reifen einsetzen und ökonomisch fahren
  • Reifendruck regelmässig kontrollieren
  • Reifenmischungen mit hoher Laufleistung verwenden
  • Rechtzeitig im Frühling für die Sommersaison von Winter- auf Sommerpneu umstellen

 

Weitere Informationen

Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung der Schweizerischen Fischereiaufseher (SVFA)

Video: Unter jedem Abfluss verbirgt sich ein Fluss

ADAC Reifentests

BAFU – Entwässerung von Verkehrswegen

 

Quellen

Brinkmann, M., Montgomery, D., Selinger, S., Miller, J.G.P., Stock, E., Alcaraz, A.J., Challis, J.K., Weber, L., Janz, D., Hecker, M., Wiseman, S. 2022. Acute Toxicity of the Tire Rubber-Derived Chemical 6PPD-quinone to Four Fishes of Commercial, Cultural, and Ecological Importance. Environmental Science & Technology Letters. https://doi.org/10.1021/acs.estlett.2c00050

Burkhardt, M., Kulli, B., Saluz, A. 2022. Neue Herausforderungen bei der Strassenentwässerung. ZHAW & OST in Auftrag des Kantons Zürich. https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/planen-bauen/tiefbau/strassenanlagen/strassenentwaesserung/diverses/herausforderungen_strassenentwaesserung.pdf

Dudefoi, W., Ferrari, B.J.D., Breider, F., Masset, T., Leger, G., Vermeirssen, E., Bergmann, A.J., Schirmer, K. 2024. Evaluation of tire tread particle toxicity to fish using rainbow trout cell lines, Science of The Total Environment 912. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2023.168933

Masset, T., Ferrari, B.J.D., Dudefoi, W., Schirmer, K., Bergmann, A., Vermeirssen, E., Grandjean, D., Harris, L.C., Breider, F. 2022. Bioaccessibility of Organic Compounds Associated with Tire Particles Using a Fish In Vitro Digestive Model: Solubilization Kinetics and Effects of Food Coingestion. Environmental Science & Technology. https://doi.org/10.1021/acs.est.2c04291

Philibert, D., Stanton, R.S., Tang, C., Stock, N.L., Benfey, T., Pirrung, M., de Jourdan, B. 2024. The lethal and sublethal impacts of two tire rubber-derived chemicals on Brook trout (Salvelinus fontinalis) fry and fingerlings. Chemosphere. https://doi.org/10.1016/j.chemosphere.2024.142319

Priorisierung von Massnahmen zur Reduktion des Eintrags von Reifenabrieb in Oberflächengewässer. Steiner, M. 2023. Wst21 in Auftrag des BAFU.
https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/wasser/externe-studien-berichte/schlussbericht_priorisierung_massnahmen.pdf.download.pdf/schlussbericht_priorisierung_massnahmen.pdf

Sieber, R., Kawecki, D., Nowack, B. (2019): Dynamic probabilistic material flow analysis of rubber release from tires into the environment. Environmental Pollution. https://doi.org/10.1016/j.envpol.2019.113573

Tian, Z., Zhao, H., Peter, K.T., Gonzalez, M., Wetzel, J., Wu, C., ..., Kolodziej, E. P. (2021). A ubiquitous tire rubber–derived chemical induces acute mortality in coho salmon. Science, 371(6525), 185-189. https://doi.org/10.1126/science.abd6951