Alpine Artenvielfalt der Fische ist erstaunlich jung

Die Alpen sind Lebensraum für zahlreiche Pflanzen und Tiere – ein Hotspot der Artenvielfalt auf dem europäischen Kontinent. Im Rahmen der Forschungsinitiative Blue-Green Biodiversity der Forschungsinstitute Eawag und WSL hat eine Gruppe von Forschenden nun untersucht, wie und wann diese Vielfalt sowohl an Land wie auch im Wasser entstanden ist. Sie analysierten hierfür 497 alpine und perialpine – also rund um die Alpen vorkommende – Arten aus fünf Hauptgruppen: 121 Fische, 39 Flohkrebse, 31 Amphibien, 158 Schmetterlinge und 148 Blütenpflanzen.

Die Analysen zeigen, dass die letzten Eiszeiten die heutige alpine Biodiversität wesentlich geprägt haben. Seit dem sogenannten Pleistozän, das vor etwa 2.6 Millionen begann und vor etwa 12'000 Jahren endete, wechselten sich mehrere Warm- und Kaltzeiten ab. Da viele, wenn nicht alle alpinen und perialpinen Gewässer während der pleistozänen Eiszeiten von einer dicken Eisschicht bedeckt waren, fanden die lokalen Fischarten keine geeigneten Lebensräume mehr vor und starben in den Alpen höchstwahrscheinlich aus. Erst nach Ende der letzten Eiszeit konnten sie wieder einwandern, wahrscheinlich aus tiefer gelegenen Flussabschnitten der grossen Flüsse wie Donau, Rhein oder Rhone.

Die Fische sind langsame Kolonisierer, aber kreativ

Die Fischarten mussten erst weit verzweigte Flüsse durchqueren, um die ökologisch stark isolierten Seen zu besiedeln, die nach dem Rückzug der Gletscher in den Oberläufen der Flüsse entstanden sind. Das dauerte seine Zeit, insbesondere für Arten, die aus weiter entfernten Rückzugsgebieten mit wärmeren Gewässern einwanderten. Die meisten Flussfische fanden die tiefen und kalten Seen zudem wenig attraktiv. Deshalb konnten nur einige wenige, an Kaltwasser angepasste Neuankömmlinge wie Felchen und Saiblinge, die wahrscheinlich schon früh aus relativ nahgelegenen Tieflandgebieten kamen, den Lebensraum besetzen und sich diversifizieren.

Diese unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit beeinflusst das Tempo der Artbildung. Wenn neue Lebensräume schnell von vielen verschiedenen Neuankömmlingen besiedelt werden, sind alle verfügbaren Nischen innerhalb kurzer Zeit besetzt. Das war wahrscheinlich im terrestrischen alpinen Lebensraum der Fall. Daher hatten Pflanzen und Tiere weniger Möglichkeiten, sich zu spezialisieren und neue Arten zu bilden. Die ersten Kaltwasser-Fischarten, die in die alpinen Seen zurückwanderten, fanden jedoch vielfältige, ungenutzte Lebensräume vor und konnten sich rasch diversifizieren. Darin sehen die Forschenden einen der Hauptgründe für die erstaunlich rasche Artenbildung bei einigen Fischen nach dem Ende der letzten Eiszeit.

Die Forscher hoffen, dass die neuen Erkenntnisse auch zum Schutz der alpinen Artenvielfalt beitragen werden. Wenn wir verstehen, wie sich die biologische Vielfalt in der Vergangenheit entwickelt hat, können wir besser vorhersehen, wie die Arten auf künftige Klimaveränderungen reagieren werden, und wir können Strategien zu ihrer Erhaltung entwickeln.

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Fischabstieg – Wenn Forellen stromabwärts schwimmen

Wenn keine Hindernisse in den Fliessgewässern vorhanden sind, dann können Forellen kürzere oder längere Wanderungen machen. Ein eindrückliches Beispiel ist sicherlich die Seeforellen-Laichwanderung stromaufwärts. Doch bevor eine Forelle stromaufwärts schwimmen kann, muss sie sich normalerweise zu Beginn ihres Lebens erst einmal stromabwärts bewegen. Wann passiert das? Wie viele der Jungforellen wandern ab? Kommt das auch bei Bachforellen vor?

 

Jugendliche Seeforellen

Sobald im Frühling die kleinen Forellen schlüpfen beginnen sie zu wachsen. In den Bächen sind sie normalerweise gut aufgehoben. Ein Teil der Jungforellen bleibt langfristig im kleinen Fliessgewässer. Ein anderer Teil macht sich irgendwann auf in grössere Gewässer, sei es ein Fluss oder ein See. Gerade bei Seeforellen ist die Wanderung sehr gut untersucht.

Die jungen Forellen der Vierwaldstätterseezuflüsse wurden mit kleinen Markern ausgestattet und die Abwanderung konnte danach beim Seeeinfluss mithilfe von zwei Antennen rund um die Uhr überwacht werden. (Quelle: Dermond & Brodersen, 2018)

Generell wandern die meisten jugendlichen Seeforellen in ihrem zweiten Lebensjahr, im Schnitt etwa mit 15cm Länge, von ihrem Geburtsort in den See ab. Grössere Jungforellen steigen dabei früher ab als kleinere Artgenossen. Vermutlich ist für die kleinen Individuen die Gefahr im See gefressen zu werden zu gross. Die Auswanderungszahlen unterscheiden sich je nach Fliessgewässer und können unter 10%, aber auch bei über 50% der Jungforellen liegen. Entscheidend dafür sind zum einen genetische Komponenten, aber unter anderem auch die Umweltbedingungen im Fliessgewässer.

 
Eine Forelle welche im zweiten Lebensjahr markiert wurde (Bild links) und bald darauf in den See abstieg. Rund 2.5 Jahre später wurde dieselbe Forelle beim Aufstieg aus dem See wiedergefangen. Dies ist auch gut am Punktmuster auf und hinter dem Kopf zu erkennen. Für diese Forelle hat sich die risikoreiche Strategie ausgezahlt. Der Grössen- und Gewichtszuwachs ist deutlich sichtbar. (Bilder: Eawag)

Bachforellen aus kleinen Fliessgewässern

Bei Bachforellen ist weniger bekannt über die Abwanderung in grössere Fliessgewässer. Resultate aus Belgien zeigten allerdings bereits 1979, dass aus einem kleinen Fliessgewässer jedes Jahr natürlicherweise rund 470 Bachforellen abstiegen.

Bei Untersuchungen im Kanton Aargau wurde angeschaut, wie und ob Besatzfische in einem Aufzuchtgewässer abwandern.


Mit dem Netzkorb wurden abwandernde Fische im Schalchmatthaubächli erfasst. (Quelle: Kreienbühl & Vonlanthen, 2017)

Dabei wurde festgestellt, dass innerhalb von zwei Jahren über 300 Bachforellen abwanderten. Bei Hochwassern konnten die Erhebungen mit einem Fangkorb zudem nicht gemacht werden. Es ist also anzunehmen, dass die effektive Anzahl der Absteiger noch höher liegt. Der überwiegende Teil (>85%) wanderten im zweiten Lebensjahr mit einer Grösse von 8-20 cm ab.

Histogramme der Längenverteilung (in mm) der gefangenen Forellen im Netzkorb des Schalchmatthaubächli aus den beiden Jahren 2015 und 2016. In rot ist die ungefähre Abgrenzung der Jahrgänge 0+ und 1+ eingezeichnet. 91.9% der Fische wurden zwischen April und Juni gefangen. (Quelle: Kreienbühl & Vonlanthen, 2017)

Die gängige Praxis, bei der Besatzforellen in Aufzuchtbächen bereits als Sömmerlinge wieder elektrisch abgefischt werden, ist also nicht passend zum natürlichen Verhaltensmuster. Ein grosser Teil der abwandernden Fische in der Studie stammte aus Besatz. Im schlussendlichen Fang machen die Besatzfische allerdings nur 10% aus. Da die Wanderung und auch die Naturverlaichung im kleinen Zufluss funktioniert wurde empfohlen den Besatz einzustellen und eine natürliche Bachforellenpopulation im kleinen Zufluss zu ermöglichen.

Eine ähnliche Untersuchung wurde ebenfalls im Kanton Basellandschaft durchgeführt. Die Resultate waren sind durchaus vergleichbar. In beiden Versuchsjahren wurden im untersuchten Bach über 1000 absteigende Brütlingseinheiten festgestellt (1164 & 1679) was jeweils deutlich mehr war als besetzt wurde (750 Brütlinge pro Jahr).

MonatArtBrütlings-
Einheit
AprilBachforelle61
MaiBachforelle333
JuniBachforelle257
JuliBachforelle189
AugustBachforelle127
SeptemberBachforelle197
1'164

Die Abwanderung aus dem Fluebach im 2012 dargestellt von April bis September. Während 20 Tagen war der Netzkorb wegen Geschiebetrieb, Hochwasser und Ferien nicht in Betrieb.

Kleine Fliessgewässer können also durchaus eine wichtige Rolle spielen, zum einen für die natürliche Fortpflanzung, zum andern auch als Jungfischhabitat. Ein guter ökologischer Zustand und eine gewährleistete Fischgängigkeit ist wichtig für die Funktion der kleinen Fliessgewässer. Wo nötig müssen diese Bedingungen wiederhergestellt werden

Links

Eawag Seeforellenprojekt

Bericht «Seeforellenwanderung im Vierwaldstättersee und seinen Zuflüsssen»
Link zum PDF

FIBER Broschüre kleine Fliessgewässer

Fischgängigkeit ...