Das Vermächtnis ausgestorbener Arten im Erbgut ihrer Verwandten

Aus den Geweberesten an historischen Schuppenproben konnten Forschende von der Abteilung Fischökologie und Evolution der Eawag genetisches Material gewinnen und das Erbgut – auch Genom genannt – von Felchen untersuchen, die vor ca. 90 Jahren im Bodensee gelebt haben. Das war lange bevor in den 1950er Jahren die zunehmende Überdüngung des Sees einsetzte und eine der vier dort heimischen Felchenarten ausstarb. Der Vergleich mit den Genomen der heute lebenden Arten ermöglichte besser zu verstehen, was beim Aussterben einer Art passiert und welche Auswirkungen dies auf die überlebenden Arten hat. Angesichts des rasanten Rückgangs an Lebensräumen und biologischer Vielfalt kann dieses Wissen wertvolle Informationen zur Erhaltung der Biodiversität liefern.

Die Forschenden sequenzierten das Genom der ausgestorbenen Felchenart Coregonus gutturosus sowie historische und aktuelle Proben der drei noch immer im Bodensee lebenden Felchenarten. Alle vier Arten sind nach der letzten Eiszeit entstanden und kommen ausschliesslich im Bodensee vor. Insgesamt gab es in den grossen voralpinen Seen der Schweiz einst über 30 solcher endemischen Felchenarten. Während der Überdüngung der Seen ging diese Vielfalt jedoch dramatisch zurück. Rund ein Drittel der alpinen Felchenarten starb innerhalb weniger Jahrzehnte aus. Betroffen waren vor allem jene Arten, die sich auf Laichgebiete in grösserer Wassertiefe spezialisiert hatten.

Die Forschenden interessierte, was bei diesem Prozess auf genetischer Ebene passiert. Das liess sich bisher nur selten untersuchen, da meist keine Proben der ausgestorbenen Arten vorhanden sind. Beim Vergleich der Felchen-Genome stellten die Forschenden nun fest, dass die genetischen Unterschiede zwischen den Arten abgenommen haben. Darüber hinaus sind in allen drei heute noch im Bodensee lebenden Felchenarten Genom-Fragmente der ausgestorbenen Art erhalten geblieben. Zu diesen erhaltenen Puzzlestücken der Evolutionsgeschichte könnten auch jene Bereiche gehören, welche C. gutturosus dazu befähigten, speziell den Lebensraum im Tiefenwasser zu besiedeln, vermuten die Forschenden. Das könnte es den heutigen Arten erleichtern, den Lebensraum im Tiefenwasser in Zukunft wieder in Besitz zu nehmen. Seit den 1980er Jahren hat sich der Nährstoffgehalt im Bodensee wieder deutlich reduziert, so dass Felchen theoretisch auch die Lebensräume in der Tiefe wieder besiedeln könnten.

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