Viele Schweizer Gewässer sind in einem bedenklichen Zustand. Die Folge ist der Verlust von Biodiversität, der immer weiter fortschreitet. Obwohl gesetzliche und strategische Möglichkeiten zum Schutz der Gewässer und ihrer Artenvielfalt vorhanden sind, fehlen oft die Datengrundlagen und Ressourcen, um wissenschaftlich fundierte Massnahmen in die Wege zu leiten. Das Ziel des Projekt LANAT-3 der Wyss Academy for Nature ist es, Lösungen für diese Herausforderungen zu entwickeln. In einem ersten Zwischenschritt sollen dabei zum Beispiel mittels Modellrechnungen Wanderhindernisse in Fliessgewässern priorisiert werden, deren Rückbau einen besonders positiven Effekt auf die Fischgängigkeit hat. Das Projekt ist im Jahr 2020 gestartet und kürzlich wurde ein Zwischenbericht mit ersten Resultaten und Erkenntnissen veröffentlicht.
Wie Wissenschaftliche Modelle die Praxis im Gewässerschutz unterstützen können
Die systematische Erfassung der Vielfalt in einem Gewässer ist die Grundlage, um Veränderungen der Artenzusammensetzung aufgrund von Umweltverschmutzung oder Klimawandel dokumentieren und darauf reagieren zu können. Im Zentrum der Forschung des Projekts LANAT-3 stand deshalb, die Biodiversität in den Einzugsgebieten des Rheins und der Aare wissenschaftlich zu erfassen und zu beschreiben. Räumliche Muster in der Verteilung der Artenvielfalt können dazu beitragen, die ursprüngliche Verbreitung der Vielfalt zu rekonstruieren, den Einfluss von Umweltveränderungen abzuschätzen und aufzuzeigen, in welchen Regionen Massnahmen zur Verbesserung der Gewässerbiodiversität besonders dringend sind.
Ein räumliches Modell der Artenvielfalt der Fische in den Schweizer Gewässer. Die Farbe zeigt, wie viele Arten in einem Gewässer vorhanden sind (Abbildung aus Aeschlimann et al. 2024).
Die Analysen zeigen, dass sich die grösste Fischvielfalt in den grossen Flüssen und Seen befindet. Im Gegensatz dazu ist die Vielfalt bei den Wirbellosen in den kleineren Flüssen am grössten. Der Vergleiche der räumlichen Verteilung der Artenvielfalt zwischen verschiedenen Gewässern zeigt, dass die grösste Bedrohung für die Artenvielfalt in der Verbauung von Gewässern begründet ist. Die Wissenschaftler haben mit den erhobenen Daten einen Ansatz entwickelt, der es erlaubt, einzelne Hindernisse oder Gewässerverbauungen zu ermitteln, deren Entfernung zur Erhaltung der Artenvielfalt einen besonders hohen Beitrag leisten können. Somit können die wissenschaftlichen Auswertungen helfen, nachhaltige und an einzelne Standorte angepasste Lösungen zu entwickeln, die zum Erhalt der Gewässerbiodiversität beitragen.
Beispiel für die Priorisierung von Wanderhindernissen in einem Gewässer am Beispiel des Schneiders. Je dunkler die Farbe, desto wichtiger wäre die Entfernung des Hindernisses für die Fischgängigkeit (Abbildung aus Aeschlimann et al. 2024).
Die verborgene Biodiversität
Die Anzahl bekannter Fischarten hat sich in der Schweiz über die letzten Jahre fast verdoppelt. Leider liegt dies aber nicht an einer Verbesserung der Zustände unserer Gewässer, sondern an der Forschung: Der Fokus der letzten Jahre lag auf der Dokumentation der Artenvielfalt unserer Gewässer. In der Folge wurden Fischarten wissenschaftlich dokumentiert, die schon lange da waren, aber bisher unbemerkt blieben.
Ein Beispiel dafür sind die verschiedenen Arten der Bartgrundeln. Genetische Analysen im Kontext von LANAT-3 haben gezeigt, dass in der Schweiz insgesamt drei Bartgrundelarten vorkommen, wovon zwei der Wissenschaft noch nicht bekannt waren. Eine der neu dokumentierten Arten kommt hauptsächlich in Seen, die andere in Fliessgewässern vor. Die Arten unterscheiden sich in der Grösse der Augen, der Kopfforum, sowie in der Mund- und Kiemenregion (siehe Abbildung). Aufgrund der unterschiedlichen Verbreitung und Lebensweisen könnten sehr unterschiedliche Schutzmassnahmen nötig sein, falls sich herausstellt, dass diese Arten bedroht sind.
Artenvielfalt der Bartgrundeln der Schweiz. Oben ist die “klassische” Bartgrundel, unten die zwei neu beschriebenen Arten. Aufgrund der kürzlichen Entdeckung haben die zwei neuen Arten noch keine Artnamen (Abbildung aus Aeschlimann et al. 2024).
Ein weiteres Beispiel, wo sich die Zahl der bekannten Arten erhöht hat, sind die Elritzen. Ursprünglich waren zwei Elritzenarten in der Schweiz bekannt: Die Elritze (Phoxinus phoxinus) und die Italienische Elritze (P. lumailreul). Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die «klassische» Elritze P. phoxinus, von der man glaubte, sie sei weit verbreitet, in der Schweiz gar nicht vorkommt. Genetisch wurden aber mindestens vier unterschiedliche Arten in der Schweiz nachgewiesen: drei gültige Arten (die Donauelritze P. csikii, die Vidourle-Elritze P. septimaniae und die Italienische Elritze P. lumaireul) und eine weitere unterschiedliche genetische Linie, die möglicherweise unter dem Namen von P. morella anerkannt werden könnte. Ausserdem wurden innerhalb der Donau-Elritze (P. csikii) zwei verschiedene genetische Linien entdeckt: Eine davon lebt ausschliesslich in den Flüssen der östlichen Alpen, die anderen lebt nur in den Seen des Aare Einzugssystems wie dem Thuner- und Brienzersee. Die Ergebnisse des Projekts zeigen also eine viel grössere Artenvielfalt innerhalb der Elritzen, als ursprünglich angenommen.
Die vier in der Schweiz neu dokumentierten Elritzenarten. Zuoberst die Art, die möglicherweise als P. morella anerkannt wird, darunter P. csikii, P. lumaireul und P. septimaniae (Abbildung aus Aeschlimann et al. 2024).
Von Daten zu Taten
Die komplette Dokumentation der Vielfalt in einem Gewässer, die Abschätzung ihrer Bedrohung und die Umsetzung von Massnahmen zum Erhalt der Vielfalt ist für die Wissenschaft eine grosse Herausforderung. Im Kontext des fortschreitenden Verlustes von Biodiversität ist die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Ansätze von grösster Bedeutung, damit gezielte und standortgerechte Massnahmen zum Schutz von Arten und Lebensräumen ergriffen werden können. Allerdings kann nur festgestellt werden, ob die umgesetzten Massnahmen erfolgreich sind, wenn auch im Nachhinein detaillierte Daten erhoben und diese mit den bereits gesammelten Daten verglichen werden können. Im weiteren Verlauf des Projekts LANAT-3 sollen die erarbeiteten Grundlagen nun vertieft werden, um sicherzustellen, dass die gewonnenen Erkenntnisse zur aquatischen Biodiversität am Ende effektiv in die Planung und Umsetzung von Gewässersanierungen integriert werden können.
Literatur:
Aeschlimann, A., Fehle, P., Neuhaus, M., Ingold, K., Fischer, M., Zinn, N., Wegscheider, B., Waldock, C., Calegari, BB., Josi, D., Seehausen, O. (2024). Den Biodiversitätsverlust der Gewässer stoppen – trotz Klimawandel. Zwischenbericht Phase I (2020-2023): Projekt LANAT-3, Wyss Academy for Nature Hub Bern. 103 S.